Subject: Zwerge mit Rückgrat Date: Fri, 11 Jul 97 16:27:29 +0200 x-sender: boris@mail.well.com From: Boris Groendahl <boris@well.com> To: "Marleen Stikker" <stikker@waag.org>
Längst noch nicht ist klar, welche Investitionen in das Internet sich langfristig auszahlen werden. Sicher ist nur: Irgendwo müssen die 100 Millionen Mark hinfließen, die deutsche Firmen laut einem Münchener Nachrichtenmagazin allein im letzten Jahr ins Internet gesteckt haben sollen.
Eine der Senken, in die die Millionen hineinlaufen, sind naheliegenderweise die Firmen, die das Netz selbst bereitstellen. Allgemein geläufig sind die Namen der großen Onlinedienste T-Online der Deutschen Telekom AG, das Joint venture AOL/Bertelsmann und Compuserve, eine Tochter des US-Steuerberatungskonzerns HR Block.
Diese Dienste bringen ohne Zweifel eine Menge User ins Netz und eine Menge Firmen online, wenn auch nicht ins Internet. Fragt man jedoch nach dem Backbone, dem "Rückgrat", wie in den USA die Lebensadern des Netzes heißen, dann treten plötzlich Firmennamen auf, die weit weniger bekannt sind, und die doch einen Markt im Wert von etwa 150 bis 200 Millionen Mark repräsentieren.
Was sind das für Firmen, die in Deutschland das Internet am Laufen halten? Wie haben sie angefangen? Wem gehören sie?
Die beiden Veteranen unter den Internet Providern sind bis heute mit führend im Bereich der Anbindung von Firmen und Großkunden an das Internet: Die _EUnet Deutschland GmbH_ und _NTG/Xlink_.
Beide kommen aus dem universitären Umfeld, mit dem man sich heute so trefflich streitet: Xlink entstand an der Universität Karlsruhe, die 1984 die erste Verbindung über das Internet Protocol mit dem amerikanischen Internet aufnahm, EUnet stand ursprünglich mal für das European Unix Network, dessen deutscher Knoten an der Uni Dortmund ansässig war.
Und beide sind längst von Uni-Absprengseln zu Teilen internationaler Konzerne gereift: EUnet gehört zu 100 Prozent dem US-Backbone-Provider UUNet, der wiederum dem Telekommunikationskonzern WorldCom zuzurechnen ist, einem der größten der USA. UUNet ist nebenbei auch der Hausprovider des Microsoft Network, eine Aufgabe, die dementsprechend in Deutschland EUnet übernommen hat. Xlink firmiert inzwischen als Geschäftsbereich der NTG Netzwerk und Telematic GmbH, einer Tochter des französischen Konzerns Bull.
Lange Zeit konnten EUnet und Xlink den deutschen Markt unter sich aufteilen, bis 1994 eine Firma namens _MAZ_ antrat, ihnen Konkurrenz zu machen. Auch MAZ (Mikroelektronik Anwendungszentrum Hamburg GmbH) fiel nicht vom Himmel -- es handelt sich dabei um ein Forschungsunternehmen im Besitz der Stadt Hamburg. MAZ mischte den deutschen Markt mit den "netsurf"-accounts für Privatkunden zum Festpreis von 35 Mark gehörig auf.
1995 verkaufte die Stadt Hamburg die MAZ-Abteilung Internet mehrheitlich an die Thyssen Telecom AG, die unter anderem auch das Mobiltelefonnetz E-Plus betreibt; seitdem agiert die Gesellschaft unter dem Namen _IS Internet Services GmbH_ und hat sich ein großes Stück des Marktes sichern können -- darunter die Website, auf der Sie sich gerade befinden.
Halb staatlicher Stammbaum, großkapitalistischer Hintergrund -- so richtig passen wollen diese drei nicht zum Mythos von den kleinen dynamischen Internet-Jungfirmen, die mit cleveren Ideen neue Märkte erobern.
Die ersten Firmen, auf die eine solche Kategorisierung eher zutrifft, betraten 1994/95 mit _Nacamar Data Communications GmbH_ und dem Verbund _Contrib.Net_ die Szenerie, der sich inzwischen wieder in die zwei Unternehmen GTN und TCP/IP GmbH aufgeteilt hat. Den jungen wilden Firmentyp findet man erst wieder recht häufig bei den lokalen Internet Providern, die ihren Netzzugang bei einem dieser großen Provider einkaufen.
Schließlich warfen sich im vergangenen Jahr noch zwei Giganten auf den Markt für Internet-Verbindungen: Die Bertelsmann AG gründete zusammen mit der Daimler-Benz-Tocher debis die _mediaWays GmbH_, die insbesondere das Netzwerk für den deutschen Dienst von AOL bereitstellt. Und die unvermeidliche Deutsche Telekom hat inzwischen auch ihren eigenen Backbone namens _T-Inter_ (nicht zu verwechseln mit dem Angebot T-Online). T-Inter beliefert beispielsweise den Aldi der Internetzugänge, metronet.
überhaupt, die Telekom.
Sie ist natürlich der lachende Dritte bei allem, was in Deutschland in Sachen Internet unternommen wird. Keiner der Internet Provider buddelt für seine Anbindungen die Straße auf und verlegt Leitungen. Die benötigten Kabel werden gemietet -- und praktisch ist der einzig mögliche Vermieter die Deutsche Telekom. Der im Geschäftskundenbereich ja prinzipiell bereits mögliche Wettbewerb findet derzeit einfach nicht statt -- die Konkurrenten der Telekom sind noch nicht so weit.
Noch bequemer für die Telekom ist der passive Nutzen, den sie aus dem Internetboom zieht -- die Telefongebühren. Der Berliner Provider Interactive Networx hat ermittelt, daß seine 10.000 Kunden im Monat für eine halbe Million Mark Ortsgespräche für die Internetnutzung führen. Rechnet man das auf die ganze Republik ungefähr hoch, so kommt man auf ca. 50 bis 100 Millionen Mark Gebühreneinnahmen jährlich. Und das wohlgemerkt, ohne einen Pfennig extra investiert zu haben. Die T-Aktionäre wird's freuen.
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